„Wer Dinge ändern möchte, muss sie neu denken.“
Marc Wilhelmi ist Geschäftsführer von integrate-it. Seit 22 Jahren begleitet sein Unternehmen den Mittelstand bei der Gestaltung technischer Infrastrukturen. Wir reden über einen veränderten Arbeitsmarkt, Jobmodelle nach Corona und notwendiges Prozessdesign.
Ein Interview mit Marc Wilhelmi
Marc, es ist zwischen den Themen der letzten Zeit ein wenig untergegangen: Glückwunsch zu 20 Jahren integrate-it!
Danke. Die Party steht situationsbedingt seit 2020 aus. Wir holen das nach, sobald es verantwortungsbewusst möglich ist. Die Zeit bis dahin nutze ich, um die Festrede zu ergänzen. Denn auch wenn wir als Systemhaus einen gewissen Vorsprung bei der Gestaltung hybrider Arbeitswelten haben mögen: ausgerechnet im Jubiläumsjahr standen auch wir vor einer der größten Herausforderungen in der Firmengeschichte.
Die Umstellung laufender Prozesse von jetzt auf gleich ins Homeoffice, das war eine Teamleistung erster Güte. Dafür möchten Joachim und ich uns bei jedem Einzelnen bedanken – mit echtem Handschlag, nicht in einer Videokonferenz.
Nach der Pandemie: „back to normal“ oder „brave new world“? Wie sind Deine Erfahrungen mit der plötzlich omnipräsenten neuen Arbeitswelt ohne Präsenzpflicht?
Unternehmen wurde ein neues Tempo aufgezwungen – nicht unbedingt ein neues Thema. Zumindest die Diskussion um flexiblere Modelle wird schon lange geführt. Covid hat den Stein ins Rollen gebracht, und der lässt sich nicht mehr aufhalten. Eine Studie zum Ende der Corona-Maßnahmen stellt fest, dass Dreiviertel der Leute weiterhin mindestens einen Tag am Schreibtisch zuhause sitzen möchten. Die Hälfte davon spricht von Teilzeit oder Kündigung, wenn der Arbeitgeber wieder volle Präsenz fordert. Die dagegen wünschen sich lediglich 15%, unter Uni-Absolventen kann sich nur jeder Zweite die klassische Denke von Büro überhaupt noch vorstellen. Das sind alles aktuelle Zahlen aus Deutschland.
Wir selbst erkennen, dass Gestaltungsspielraum im Jobprofil zu guten Bewerbungen von hochmotivierten Menschen führt, und dass größere Freiheit eher gesteigerte Effizienz bedeutet. Selbstbestimmung wird zum Selbstverständnis, macht Firmen im umkämpften Personalmarkt attraktiv. Denken wir das weiter: „remote work“ kann die eigene Work-Life-Balance verbessern und tatsächlich nachhaltig wirken: weniger Berufsverkehr, weniger Fastfood, weniger Arbeitskleidung, weniger individuelle Kosten. All das sind bessere Argumente für die Personalabteilung als Obstkörbe und Kickertische.
Die Frage lautet daher, wie man den Paradigmenwechsel gestaltet. Die To-Do-Liste ist lang, auch wenn sich zum Thema Homeoffice in der Pandemie meist mehr Hoffnungen erfüllt als Befürchtungen bewahrheitet haben. Trotzdem: notgedrungen musste viel improvisiert werden. Jetzt geht es darum, Prozesse dauerhaft so zu gestalten, dass Unternehmensziele in einer hybriden Struktur mindestens so gut wie bisher erreicht werden können – das ist mehr als die externe Anbindung an den Server. Und am Ende ist es auch eine technische Aufgabe, bei der wir unsere Kunden unterstützen.
Ohne Digitalisierung keine Dezentralisierung? Wo steht der Mittelstand, und wo können KMU ansetzen?
Am Anfang steht immer die digitale Transformation. Der Entwicklungsstand variiert je nach Branche und Unternehmenskultur. Eine gute Möglichkeit für Analyse und Potenzialentwicklung bietet integrate-it durch die Kooperation mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft im Projekt „Digital Plus“. Bei der Digitalisierung von Abläufen macht es dann sicher Sinn, deren dezentrale Funktionalität von Anfang an mitzudenken:
Standards sollten so eindeutig definiert und abgebildet werden, dass sie gerade bei teilweise ortsungebundener Arbeit routiniert ausgeführt werden können. Dabei spielen auch Zuständigkeiten eine wichtige Rolle. Datenschutz schwebt sowieso über allem.
Ein Stück weit Konsequenz aus der Pandemie ist exemplarisch, dass wir uns intensiv mit digitalen Prozessen im Mitarbeitermanagement befassen: wie funktioniert Recruiting ohne persönlichen Kontakt, wie organisiert man technische Anbindung und Einarbeitung, wie gelingt Offboarding?
Dabei lässt sich gut erkennen, dass es zu Reibungen oder sogar Sicherheitslücken kommen kann, wenn das Thema nicht von A bis Z projektiert ist, insbesondere bei der Rechteverteilung. Man möchte nicht glauben, wie oft es vorkommt, dass Ehemalige beispielsweise noch Serverzugänge besitzen. Technisch gesehen mag es dabei um Schnittstellen zwischen Software-Anwendungen gehen, darüber schwebt aber die große Frage, wie man den Bereich Human Relations als Unternehmen gestalten möchte – und als Führungskraft die negativen Aspekte von Heimarbeit vermeidet.
Wir als integrate-IT versuchen, den Weg der „sharing economy“ permanent ein Stück weiterzugehen – nicht immer ohne Diskussion darüber, was wirklich sinnvoll und nachhaltig ist.
Ist die Angst denn berechtigt? Vereinsamen wir alle, wenn wir nicht mehr jeden Tag gemeinsam im Büro sitzen? Verlieren wir die Identifikation mit dem Arbeitgeber?
Zunächst bedeutet hybrides Arbeiten ja keine völlige Abstinenz vom Arbeitsplatz. Wie genau das aussieht, ist eine Frage des Einzelfalls. Wir selbst merken, dass Führungskräfte die gemeinsame Zeit im Büro noch besser nutzen müssen, um einen klaren Status zu erreichen, nächste Schritte und große Ziele abzustimmen. Wer es schafft, Meetings zu moderieren, in denen sich jeder effizient einbringen kann und aus denen jeder mit klaren Aufgaben nachhause geht, betreibt Motivation durch Integration. Andersrum ist für Leute, die sich nicht beteiligen wollen, auch das Jobmodell egal. Wie gesagt gibt es einen kleineren Personenkreis, der gerne ganz klassisch weitermachen möchte – übrigens überproportional höher in konservativ angesehenen Branchen.
Wobei: aus eigener Erfahrung muss gesagt sein, dass mehr persönlicher Freiraum bei der Arbeit nur funktionieren kann, wenn er an ein paar Bedingungen geknüpft ist. Immer ist Zeiterfassung ein Thema, feste Desktops oder eigene Dienstwagen machen wenig Sinn, wenn das Büro nur halb besetzt ist. Wir als integrate-it versuchen, diesen Weg der „sharing economy“ permanent noch ein Stück weiterzugehen – nicht immer ohne Diskussion darüber, was wirklich sinnvoll und nachhaltig ist.